In STEREO 4/13 stellten wir den "oreloB" des Labels TACET vor. Ravels Bolero läuft dabei zwar nicht wirklich rückwärts, wurde aber von innen nach außen geschnitten, so dass der Tonarm dicht am Label abgesetzt wird und in der vermeintlichen Einlaufrille seinen Auslauf nimmt. TACET-Chef Andreas Spreer hatte diesen ungewöhnlichen Modus gewühlt, da der Bolero sehr leise beginnt und sich zu einem ausgedehnten Fortissimo steigert. Dieses läge bei normaler Abtastung in den Innenrillen, wo der Platz gestaucht und Dynamik wie Auflösung beschränkt sind - widersinnig. Im "Backwards"-Modus kann es sich dagegen in dem erheblich mehr Platz bietenden Außenbereich der Schallplatte "breit" machen.

Ähnlich wie beim Bolero verhält es sich mit den fünf märchenhaften Kinderstücken von "Ma mère l'Oye". Auch hier zeigt die auf dem Cover abgebildete Spektralanalyse, dass die lautesten Stellen am Ende des Finalstücks liegen, dem bezaubernden "feengarten". Und auch der "Tzigane", zweite Komposition der B-Seite, ist weitaus dynamischer als Ravels betont leise und gleichförmige "Trauerprozession für eine verstorbene Prinzessin", die sich deshalb innen findet. So ist die Revers-Abtastung auch hier mehr als nur ein Gag. Dazu kommt eine sehr homogene, räumliche und dynamisch unangestrengte Aufnahme, für die vor allem alte Röhrenmikrofone von Neumann eingesetzt wurden. Die musikalische Interpretation der bildhaften Kompositionen gelingt dem Netherland Philharmonic Orchestra unter Carlo Rizzi überzeugend, so dass die einwandfrei gepresste 180-Gramm-Scheibe mehr ist als eine analoge Skurrilität.

Matthias Böde



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