Es hat seinen Grund, warum auf dem Cover vom "oréloB" die Rede ist: Diese Platte läuft sozusagen rückwärts; sie ist von innen nach außen geschnitten! Was jedoch bei der einen oder anderen limitierten Veröffentlichung (meist auf dem Independent-Rock-Sektor) bislang ein kurioser Gag war, dem liegt hier ein echter High End-Gedanke zugrunde: Die meisten klassischen Werke haben ihre lautesten Passagen am Ende, und die gehäufte Dynamik in den Endrillen führt auch bei den besten Vinyl-Schneidern zu klanglichen Einbußen, im schlimmsten Falle zu Verzerrungen. Eigentlich naheliegend also, den Spieß einfach umzudrehen und den Tonarm am anderen Ende der Rille seine Reise beginnen zu lassen! Beide hier zu hörenden Werke (der Boléro bekanntlich besonders) sind extreme Beispiele für eine fortwährende dynamische Steigerung, optimale Schau-Objekte für die Richtigkeit dieser Idee mithin. Und was sich hier im Finale abspielt, dürfte auch in Zukunft zum regelmäßigen Bestandteil von High End-Vorführungen werden. Der Klang ist schon zu Beginn hervorragend (der Raum!), aber das Ende wird wohl mit dem englischen Wort "jaw-dropping" am besten beschrieben… Erfreulicherweise (bei Tacet aber eigentlich nicht überraschend) entspricht die musikalische Seite der klanglichen: Der Mailänder Carlo Rizzi inszeniert die beiden vielgehörten Ravel-Schlachtschiffe mit einer Spannung, die vom ersten Takt an greifbar ist und sich ab da nur noch zu intensivieren scheint – und wenn er und die Niederländischen Philharmoniker in den allerletzten furiosen Takten des "Boléro" noch einmal zusätzlich Holz in den Ofen schieben (ohne das strenge Metrum zu verlassen), weiß man längst, daß man es hier trotz unübersehbarer Konkurrenz mit einer Spitzeneinspielung zu tun hat… Abschließend sei noch versichert, daß der äußere Rand der LP mit einer zuverlässigen Auslaufrille versehen ist: Ihr Tonabnehmer wird nicht im Nirvana verschwinden wie einst die Schiffe der frühen Entdecker, als die Welt noch eine Scheibe war…! (2012)
Janis Obodda

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