"Friedlicher Wettstreit der stahlbesaiteten Diven: Fünf Flügel geben sich ein Stelldichein in der Frankfurter Festeburgkirche Die starken Männer vom Transportunternehmen wollen ihren Augen nicht recht trauen. Die bereits vorhandenen vier Flügel müßten doch eigentlich genügen. Selbst Johann Sebastian Bach hat sich bei seinen Konzerten mit vier Cembali zufriedengegeben. Ob die Herren hier wohl richtig sind? Sie liefern erst noch den eigenwilligsten Star, den über drei Meter langen Fazioli-Flügel. Glänzend in edlem Schwarz, mit blankgeputzter Tastatur und aufgespreizten »Flügeln« sind die Instrumente prachtvoll anzusehen. Sie gleichen Diven, die ehrgeizig, doch äußerlich gelassen auf ihren großen Auftritt warten. Die Mitstreiter hören auf die Nobelnamen Bösendorfer, Bechstein, Yamaha, Steinway. Der Pianist Gerrit Zitterbart und der Tonmeister Andreas Spreer engagierten sie, um sie in der Frankfurter Festeburgkirche im direkten Vergleich bei Tonbandaufnahmen für eine CD testen zu konnen. Daß die Instrumente ihre eigene Persönlichkeit sowohl im Klang als auch in der technischen Handhabung besitzen, ist offenkundig, dem Konzertbesucher aber kaum bewußt. Wer macht sich schon Gedanken darüber, ob für die perlende Bach-Toccata zu Beginn eines Konzertes das gleiche Instrument das geeignete ist wie für die folgende leidenschaftliche Beethoven-Sonate oder das schwärmerische Chopin-Prelude. Zwar haben die monströsen Persönlichkeiten schon rein äußerlich je einen eigenen Charakter, und die Klavierbaumeister sprechen auch gern von unterschiedlicher »Schall-Leitfähigkeit«, vom »Biegemoment« der diversen Hölzer und der »Hammerkopfbespannung«, weisen darauf hin, daß die Tasten nicht mehr aus Elefantenzähnen hergestellt werden, sondern aus anderen Materialien, darunter so profane Ersatzstoffe wie Rinderhüftknochen. Doch bei der Klavierparade geht es einzig um das unterschiedliche Klangbild, um fünf tönende Porträts. Dabei sollen sich die Flügel nicht gegenseitig ausstechen oder »überflügeln«, jedes Instrument soll vielmehr in dem ihm gemäßen Lichte erstrahlen. Dabei zeigt sich, welche Bedeutung trotz eines unwandelbaren Klangcharakters die jeweilige »Einstellung« durch den Stimmer haben kann. Der Pianist Zitterbart, 1952 in Göttingen geboren, hat zu diesem Zweck ein sehr feinsinniges, abwechslungsreiches Programm mit Werken des 20. Jahrhunderts entworfen, »die von sehr ausgeprägter Individualität sind«: Debussys »L‘isle joyeuse« (erschienen 1904), Skrjabins Sonate Nr.4 (1905), Alban Bergs Sonate op. 1 (1907) Strawinskys »Drei Stücke« (Tango, Ragtime, Zirkuspolka) aus den Jahren 1919, 1940 und 1942, Boris Blachers »Trois Preludes« von 1943 mit dem Untertitel »What about this, Mr. Clementi?« und Stockhausens Klavierstück Nr. 9 aus dem Jahre 1961. Mit diesen Werken sei die musikalische Entwicklung der ersten 60 Jahre des Jahrhunderts abgedeckt, meint Zitterbart. Die zunächst für den Bechstein-Flügel vorgesehene »Ile joyeuse« spielt Zitterbart dann doch auf dem sich überraschend weich und gleichzeitig transparent gebenden Yamaha, was den Arpeggien, dem luftigen Säuseln ebenso zugute kommt wie den »aufgepeitschten« Akkorden. Stockhausens Komposition dagegen läßt sich offenbar auf dem Bechstein-Flügel am besten präsentieren, die Cluster scheinen sich in sphärisches Flirren aufzulösen, durch Pedaleffekte in unendlichen Fernen fortzuspinnen. Bergs zu expressiven Emotionsausbrüchen gesteigerte Sonate erklingt auf dem brillanten und »anschmiegsamen« Bösendorfer. Die Strawinsky-Rhythmen spielt Zitterbart auf dem Steinway. Für das breite Klangspektrum der Skrjabin-Sonate mit ihrem irisierend schwebenden, körperlosen Beginn wählt er den Fazioli; »der Flügel singt«, meint er. Trotz aller Klangpracht gerade dieses Instruments gelingt es ihm, auch Klänge von gläserner Klarheit und koboldhaftem Huschen zu entlocken, das Akkorddickicht zeigt selbst bei teuflischem Tempo keine Härten. Blachers jazzig angehauchtes Werk wird auf allen fünf Instrumenten gespielt, wobei die unterschiedlichen Klangcharakteristika am klarsten hervortreten. Für die Aufnahme hat der in Detmold ausgebildete, in Stuttgart ansässige Tonmeister Andreas Spreer Mikrophone ausgewählt, die eine neutrale Abbildung des Klanges gewährleisten. Die fertige CD, die er unter seinem eigenen Label »Tacet« herausbringen will, dürfte nicht nur Berufsmusikern, Audiophilen und Technikfreaks wertvolle Informationen liefern, neben dem puren Vergleich der Instrumente wird sie auch den Musikliebhabern ein überaus reizvolles Programm in kompetenter Wiedergabe bieten. Zu Spreers Arbeitsweise gehört es, zwar mit hochwertigem Gerät, doch insgesamt mit möglichst geringem technischem Aufwand Werken und Interpreten viel Raum zur Entfaltung zu lassen. Die stahlbesaiteten Diven werden es ihm zu danken wissen."

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