Künstlerische Qualität: 9 von 10
Klangqualität: 10 von 10
Gesamteindruck: 9 von 10
Die Sinfonie Nr. 9 von Gustav Mahler hat in seinem Schaffen eine besondere Stellung, ist sie doch das letzte vollendete Werk seiner großsinfonischen Kompositionen. Zusätzlich ist sie ein Zeitzeugnis, in dem sich das Werk mit der damaligen Dekadenz der Zeit sowie mit dem Zerfall aller Werte und Sicherheiten beschäftigt. Musikgeschichtlich steht sie am Ende der deutsch-österreichischen sinfonischen Tradition und wurde zugleich beispielsweise von Schönberg als erstes Werk einer neuen Musik verstanden und angesehen. Man sieht also: ein gewichtiges Stück Musik, mit dem sich Concerto Budapest unter der Leitung von András Keller auf ihrer Aufnahme beim Label Tacet auseinandersetzen.
Nicht nur in ihrer Bedeutung im musikhistorischen Kontext ist Mahlers Neunte interessant und bildet einen Einschnitt, sondern auch in der Musik selbst: Erstmals bei Mahler hat eine Sinfonie keine Tonartbezeichnung, weil diese in der verschiedenen Sätzen auch öfter wechselt und manchmal ein tonales Zentrum auch nur schwer auszumachen ist. Der erste Satz ist eine Mischung aus klassischer Sonatenform und einer Variationsform, in der jeweils zwei Themenkomplexe variiert werden. Bereits in der Exposition stellt Mahler alle Motive vor und lässt diese von Instrumentengruppen vorstellen, die sonst vielleicht nicht so verbreitet sind in dieser Funktion. So kommen hier Harfe, ein gestopftes Horn oder auch die Bratschen zum Zuge, bevor schließlich die Violinen das Hauptthema vorstellen. Bereits früh fügen sich zu den Stimmen auch die Gegenstimmen, wodurch bereits der erste Satz sehr komplex wird. Dennoch gelingt es Concerto Budapest unter der Leitung von András Keller, eine gewisse Transparenz erklingen zu lassen.
Bedeutsames Werk in gelungener UmsetzungGleiches gilt auch für den zweiten Satz, ein Scherzo, das den schönen Titel hat: „Im Tempo eines gemächlichen Ländlers, etwas täppisch und sehr derb“. Hier überzeugen zu Beginn vor allem die Bläser, wobei sich zum täppischen Tanz schnell auch die Streicher hinzugesellen. Die Kontraste zwischen dem bäuerlichen Ländler und einem rauschenden Walzer und einem dritten, sehr langsamen Ländler setzt das Orchester gelungen und mit Mut zum Extrem um. Auch der dritte Satz, eine Rondo-Burleske, gelingt in seiner Komplexität dem Orchester sehr gut. Hier schwankt der Satz zwischen teils recht filigranen und schlicht wirkenden Melodien bis hin zu sehr komplexen und verschachtelten kontrapunktischen Abschnitten. Auch hier überzeugen Orchester und Dirigent in ihrer Umsetzung, sowohl im ganz großen Klang als auch in den Abschnitten, in denen Stimmen solistisch hervortreten. Überzeugend in seinem Streicherklang beginnt auch der Finalsatz, der als Adagio eher ungewöhnlich ist. Der Streicherapparat stellt hier das Thema vor, das in seinem Duktus sehr an einen Choral erinnert. Dieses wird einem weiteren Thema gegenüberstellt und zunehmend mit ihm verschachtelt, das in den Bläsern aufkommt. Im Laufe des Satzes wird das Choralthema zunehmend dekonstruiert – am Ende, in dem Teil, der von Mahler noch langsamer gewünscht wird, löst sich das Thema sukzessive auf. So endet Mahlers letzte vollständige Sinfonie ein wenig irritierend und ist jedoch ein wichtiges Musikzeugnis der Zeit um 1910. Auch im Finalsatz überzeugt Concerto Budapest unter András Keller. Eine gelungene Umsetzung des Werks, die zusätzlich durch den Real Surround Sound gewinnt.
Verena Düren<< back