In rascher Folge hat das Stuttgarter Label Tacet die Einspielung sämtlicher Streichquartette Joseph Haydns mit dem Auryn Quartett komplettiert. Mit dem letzten Volume, das die beiden Quartette aus op. 77 und die einzeln veröffentlichten Opera 103 und 42 koppelt, liegen nun alle Haydn-Quartette in einer mustergültigen und mitreißenden Gesamteinspielung vor.

Das Auryn Quartett lässt einen die beiden Quartette aus op. 77 trotz ihrer Bekanntheit – sie zählen zum Repertoire-Kanon der Abonnementkonzerte – wie zum ersten Mal hören. Mit faszinierend austarierter Feinfühligkeit scheinen im Allegro moderato des G-Dur-Quartetts op.77,1 die Interaktionen zwischen den Instrumentallinien auf, bis ins Detail durchdacht springt den Zuhörer der lebendige Fluss aus schattierungsreicher Leichtigkeit und greifbarer Vitalität an. Mit vollendeter klanglicher Ausgewogenheit und Ausgeglichenheit gewinnt das Auryn Quartett die nötige Ruhe für das Adagio, Agilität und Elan treiben das Menuett voran, und den Finalsatz bringen die vier Interpreten in einer weit aufgefächerten Vielfalt zum Leuchten, wobei vor allem frappiert, wie differenziert hier das Thema in seinem wechselnden harmonischen und konstruktiven Umfeld herausgearbeitet wird. Ausdruckscharakter und Gestus werden mit einer ungemein diffizil vorgehenden Agogik erfasst, und am Satzschluss wissen die Auryn-Quartettisten die dynamische Strukturierung gar in eine mit viel Feinsinn ausgehörte Echowirkung aufzulösen.

Nicht weniger vermag der gestalterische Ansatz im F-Dur-Werk op.77,2 zu begeistern. Mit größter Transparenz werden hier die strukturellen Beziehungen innerhalb des Stimmengefüges zum Vorschein gebracht, aber niemals mit dem Zeigefinger, immer wahrt das Ensemble dabei eine wie selbstverständliche Natürlichkeit. Auch im nachfolgenden, hoch differenziert und mit spannungserfülltem Innenleben aufgeschlüsselten Menuett werden Dynamik und Ausdruckscharakteristik nie überbewertet oder gar überspannt. Filigrane Sensibilität und ein Kaleidoskop musikalischer Vielfältigkeit beherrscht das Andante des F-Dur-Stücks.

Auch die Darstellung des nur zweisätzigen d-Moll-Quartetts op. 103, Haydns letzter und Fragment gebliebener Beitrag zu dem von ihm begründeten Genre, wie auch die Wiedergabe des bereits 1785 entstandenen d-Moll-Quartetts op. 42 beweist die überragende Fähigkeit dieser Musiker, den musikalischen Reichtum bis in die feinsten Adern aufzuspüren und die dem Satzcharakter innewohnende Aussagekraft schlüssig herauszuarbeiten.

So vermögen die Interpreten etwa im Menuett des d-Moll Quartetts op. 103 mit ihrem sensiblen Gespür für eine klanglich abstufende Unterscheidung gleichsam einen Ortswechsel von Nähe und Ferne zu evozieren und damit phantastische Wirkungen zu entfalten. Im willenstarken forte wie im zartesten pianissimo stets voll tragfähiger Substanz, intonationsmäßig dabei faszinierend schlackenlos und tonlich vollkommen ausgeglichen, erlebt man das Auryn Quartett hier einmal mehr als ein Spitzenensemble.

Thomas Bopp

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