Der Verfasser der informativ-gedrängten Einführung bringt das Generalproblem des „einfachen böhmischen Musikanten" Antonín Dvorák auf den Punkt. Dieser habe, so lesen wir, vermöge seiner vorzüglichen Handwerklichkeit beispielsweise im Kopfsatz des 1878 entstandenen Sextetts op. 48 „eine reguläre Sonatenform an allen Ecken und Enden so subtil erweitert, dass Melodien und Klangwirkungen immer wieder zu schwelgerischer Entfaltung kommen können." Das ist die rücksichtsvolle, euphemistische Umschreibung eines Sachverhalts, den wir bei dem Naturtalent aus Nelahozeves immer wieder beobachten können: eine Neigung nämlich, sich zu verplaudern, Schönheiten so lange zu traktieren, bis sie auch in der allerletzten Reihe wahrgenommen wurden, und Geschichten so oft zu wiederholen, dass die Betörung allmählich in eine Störung übergeht. Hätte sich diese oftmalige Maßlosigkeit nur in der stürmischen Jugendzeit gezeigt -in dem völlig unspielbaren und trotz verschiedener Bemühungen einfach unerträglichen ersten Cellokonzert etwa oder in dem abendfüllenden Streichquartett Nr. 3 –, dann wäre nichts weiter dazu zu sagen. Doch gerade im gegenwärtigen Falle des fürwahr äußerst klangschönen Sextetts, und hier wiederum vor allen Dingen in dem vierzehnminütigen Allegro moderato, mag sich der liebenswerte „Märchenonkel" von seinen köstlichen Eingebungen so gar nicht trennen, dass es den Ausführenden schwer wird, die gemeinte „schwelgerische Entfaltung" zu realisieren. Die knappere, „süffigere" Süffisanz der Dumka und das Feuer des quirligen Furiant fächeln uns eine klarere Luft zu, bevor die abschließenden Variationen mit ihren dichten Texturen den Beginn des Werkes ausbalancieren wollen und neuerlich Gefahr laufen, des Allzuguten ein Quentchen zu viel zu tun.

Desto erfreulicher werden daher die beiden hinzugekoppelten Terzette für zwei Violinen und Bratsche empfunden: Die „Hausmusiken" aus dem Jahre 1887, in deren erster der eben noch an der zweiten Viola tätig gewesene Christian Altenburger die Führung übernimmt, erscheinen mir um vieles ausgewogener, von mir aus auch „reifer" und unbedingt subtiler als das massive, ausladende, fast zehn Jahre ältere Opus 48; die Emotionalität, die feinsinnigen Schönheiten der einzelnen Stimmen und endlich die beinahe jenseitige Gelöstheit der Elegie, von der das zweite Terzett beschlossen wird - das sind Erzählungen, in denen das Können des Handwerkers mit der Substanz im exquisiten Einklang steht, weshalb denn auch die Leistungen der jeweils beteiligten Musiker weitaus genauer zu schätzen und einzuschätzen sind als im voraufgegangenen Kolossalgemälde. Die aufnahmetechnische Seite ist – bei Tacet nicht anders zu erwarten – wieder so makellos, wie es eine reine Streicherbesetzung nur sein kann.

Rasmus van Rijn

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