"Der aus Göttingen stammende, von Leonard Hokanson, Claude Frank und Rudolf Buchbinder ausgebildete, offenbar auch gut betreute Pianist Christoph Ullrich ist kein instrumentaler Zündler an den imaginären Reibköpfen der Mozart-Sonaten, wie sie in der gerade erschienenen DG-Edition mit wiederentdeckten Gulda-Dokumenten geradezu zur Explosion gebracht werden. Doch Ullrich – um einen weiteren Vergleich zu riskieren – ist einem anderen Kollegen der älteren Generation im Hinblick auf manuelle Geschliffenheit, auf charakterisierende Variabilität um Längen und Breiten überlegen. Ullrich bestätigt – auch im Sinne seines Labels – ein gutes Maß an „Eigenart“, ohne etwa im „Türkischen Marsch“ der A-Dur-Sonate über die klavierethnischen Stränge zu schlagen. Die drei Sonaten und das herbe, für die damalige Zeit schier weltfremde, bedrohliche Adagio (KV 540) erklingen im Flüssigen wie im Verhaltenen auf eine intelligente, in ihrer Unauffälligkeit fast schon wieder auffällige Weise. Bei dem weiter oben namentlich noch nicht genannten Kollegen handelt es sich um Carl Seemann, dessen Gesamtaufnahme der Mozart-Sonaten (und einiger anderer Passagen aus dem Fantasie- und Variationen-Schatz) gerade im DG-Katalog wiederaufgelegt worden ist. Seemann fingert nun wahrlich trocken und wie ungerührt von allen Mozart-Erotismen durch dieses Repertoire – ein professioneller Ewig-Klavierschüler. Da möchte ich doch eher bei Christoph Ullrich eine weitere reichliche Stunde auf seiner Mozart-Reise zugegen sein, auch wenn in manchen entscheidenden Momenten (wie etwa in der Kopfsatzdurchführung der a-Moll-Sonate) der entscheidende Wille ausbleibt, auch einmal unter dem Druck der enormen musikalischen Reibungen aus sich herauszugehen. Gleichwohl: eine der wichtigeren Mozart-Editionen in der ersten Phase des Geburtstagsjahres."
Peter Cossé

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