Künstlerische Qualität: 10 (Bewertungsskala: 1-10)
Klangqualität: 10
Gesamteindruck: 10
"Anfang und Ende, den frühen und den späten Schubert, eine Talentprobe und einen Prüfstein für jeden Interpreten vereint diese CD. Zwei B-Dur-Trios: der im Autograph als "Sonate" überschriebene Allegro-Satz D 28 des 15jährigen Gymnasiasten und das wahrscheinlich im Todesjahr 1828 komponierte Klaviertrio D 898 – ein ungleiches Paar. Doch verblaßt das Jugendwerk keineswegs als "Einspielstück" oder "Lückenbüßer", jedenfalls nicht in der höchst eindrucksvollen Aufnahme des Trio Vivente. Die drei Musikerinnen verstehen es, den naiven Charme, die fragile Klangschönheit und die buffonesken Mozart-Anklänge dieser Schubertschen "Sonate" ins rechte Licht zu rücken und mit allen Feinheiten der Phrasierung auszukosten.
Verblüffenderweise gelingt es ihnen auch bei dem späten B-Dur-Trio, diese natürliche und scheinbar schwerelose Kunst des Musizierens zu bewahren – und so dem Komponisten und seiner Zeit, der kammermusikalischen Praxis der Wiener Soireen und Akademien, genauestens auf die Spur zu kommen. Die vollendete Transparenz des Zusammenspiels (das ganz wörtlich durchweg ein Spiel bleibt), der lichte, schlanke Klang, die leichte, fließende, rhythmisch beschwingte Bewegung – in allem spiegelt sich eine vergangene bürgerliche Kultursphäre, das gesellige, geistvolle, unternehmungslustige Milieu, dem Schubert angehörte oder zumindest doch zuneigte. Aber das Trio Vivente bietet ungleich mehr als nur das getreue Abbild einer versunkenen Epoche: Die Musikerinnen, die sowohl mit der alten als auch der modernen Musik bestens vertraut sind, entdecken in Schuberts B-Dur-Trio ein eigenes Zeitmaß, eine Zeiterfahrung, wie sie die meisten heute nur noch in außereuropäischen Kulturen zu finden glauben. Die endlos fortgesponnenen Kantilenen des "Andante", die repetitiven "Patterns" des Finales beginnen zu kreisen, zu schweben, wie in einer Meditation entleert und weitet sich der Geist, der Horizont dehnt sich aus, das empfindsame Spiel übersteigt seine Grenzen... ehe die Presto-Coda und das jähe Ende der CD den Hörer wieder zurück in die rauhe Wirklichkeit befördern."
Wolfgang Stähr

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