Höchstnote 10 für künstlerische Qualität und Klangqualität

So unverzichtbar sie im Quartett und im Orchester ist – als Solo-Instrument ist die Viola oder Bratsche (abgeleitet von „Viola da braccio“) nach wie vor ein Exot. Eine Lanze für das Stiefkind der Streicherfamilie bricht das Label Tacet mit seiner dem Bratscher Hartmut Lindemann gewidmeten Serie. Lindemann, der im Gegensatz zu Anderen, die von der Geige zur größeren und tiefer gestimmten Bratsche "absteigen", gleich als Viola-Spieler angefangen hat und somit ein echter "Edel-Bratscher" ist, lehrt heute an der Musikhochschule Detmold/Münster und gilt als einer der Großen seines Instruments.
Die fünfte Folge der Serie kann gleich mit zwei Repertoire-Highlights aufwarten. Die als Auftragswerk für den berühmten Bratscher William Primrose geschriebene Sonate von Arthur Benjamin zählt ohne Frage zu den dankbarsten Werken der Viola-Literatur. Der erste der drei Sätze "Elegy, Waltz and Toccata" reflektiert die düstere Stimmung des Entstehungsjahrs 1942, der Walzer ist von dekadentem Charme und das Finale lässt an Brillanz nichts zu wünschen übrig.
Schon immer hat uns Schuberts Arpeggione-Sonate auf der Viola vorgetragen am meisten überzeugt – sie entspricht der Lage der Solostimme am Besten und vermag mit ihrem "verschleierten" Klang wie kein anderes Instrument das Schubertsche "Lächeln durch Tränen" zu vermitteln. Lindemann spielt das oft geschundene Werk mit sicherem Geschmack, vollendet im Ausdruck und außerordentlich flexibel in der Tongebung. Roman Viazovskiy stellt mit sensibler Gitarrenbegleitung (in der Fassung von Konrad Ragossnig) den passenden intimen Rahmen her.
Einen ungewöhnlicheren Programmpunkt stellt Robert Schumanns Violinsonate d-Moll dar, doch Lindemanns im Booklet erläuterte Gründe für seine Adaption des großartigen Werkes für Viola erscheinen plausibel – und das klingende Resultat gibt ihm Recht. Die japanische Pianistin Megumi Hashiba, Dozentin an der Kölner Musikhochschule, ist ihm hier wie in der Benjamin-Sonate eine kongeniale Begleiterin. Quasi als Zugabe gibt es noch die neunte Caprice von Paganini und ein Stück von Jenö Hubay – letzteres in einer fünfundzwanzig Jahre alten Analogaufnahme.
Ansonsten sind die Aufnahmen neuen Datums und erster Güte. Andreas Spreer hat – ganz ohne Mätzchen – den Klang der Instrumente mit jeder Nuance in höchster Deutlichkeit und Natürlichkeit eingefangen. Nur beim Booklet sollte man etwas mehr Sorgfalt walten lassen: Lebensdaten der Komponisten sind nicht angegeben und im Text wird Arthur Benjamin als "in England lebend" bezeichnet – der 1893 in Australien geborene Komponist, der unter anderem am Royal College of Music Klavierlehrer von Benjamin Britten war, ist 1960 gestorben. Sixtus König

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