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Mozarts musikalisches Denken ist geprägt durch das Theater. Sein versierter Umgang mit der Oper bereits in sehr jungen Jahren hat maßgeblichen Einfluss auch auf die Instrumentalkompositionen: Charakterisierung von Themen und eine wirklich besondere Qualität des „Timings“ sind trotz der ja einigermaßen strengen Formvorgaben etwa des Sonatensatzes immer auch theatralisch zu verstehen – anders als noch bei Haydn. Dies gilt ganz besonders für Mozarts ureigenstes Instrument, das Klavier. Sind die Klavierkonzerte ganz offensichtlich „Inszenierungen“ für ein größeres Publikum, so sind seine Sonaten zwar für einen intimeren Rahmen bestimmt, aber in ihrer Plastizität und Lebendigkeit doch nicht weniger bühnenmäßig. Die vorliegenden Sonaten der ersten Wiener Jahre (1781-83) entstanden unzweifelhaft für vor allem weibliche Klavierspielerinnen als Zielgruppe. Dies mag als Legitimation für eine ganz und gar durch Empfindsamkeit bis Koketterie geprägte Interpretation gelten, wie sie etwa Mitsuko Uchida vorgelegt hat (Philips), die daraus tatsächlich „Mädchenstücke“ macht, aber dies wird deren Bedeutung dann nur teilweise gerecht.

Evgeni Koroliov wählt einen anderen Ansatz: Bei ihm weist manches bereits auf Beethoven hin, ohne allerdings den für dessen Klaviersonaten typischen klanglichen Gestus schon vorwegzunehmen. Koroliovs Anschlag bleibt stets durchsichtig und hat die für Mozart nötige Leichtigkeit, dabei eine staunenswerte rhythmische Präzision (Triller!), ohne je im Staccato spitz zu klingen (wie Ingrid Haebler auf Denon). Dies wird aber nie computerhaft steril, obwohl ich gerade im Hinblick auf großräumige Tempokonstanz seit Swjatoslaw Richter nichts ähnlich Beeindruckendes mehr gehört habe. Nichts wirkt stereotyp – alles bleibt hochdifferenziert und Agogik findet in organischster Weise auf allerkleinstem Raum statt. In den an Kontemplation und Ausdruckstiefe bereits an Mozarts Spätwerk heranreichenden langsamen Sätzen (B-Dur Sonate) sowie den virtuoseren Passagen (3. Satz der F-Dur-Sonate) öffnet Koroliov dem Hörer aber schon mal die Ohren für das Zukünftige der Wiener Klassik. Hier darf auch packender Zugriff und Brillanz nicht fehlen – ein modernes Instrument bietet halt auch diese Möglichkeiten.

Neben den drei Sonaten enthält die Einspielung noch die beiden Rondos KV 485 u. KV 511, nicht zu unterschätzende Werke von 1786/87, die natürlich ebenso gut gelingen. Ich könnte hier noch über viele Details meine Begeisterung zum Ausdruck bringen – nur so viel: Die 75 Minuten dieser CD gehen viel zu schnell vorbei und gestalten sich so unterhaltsam und vielschichtig, dass ich mit Sicherheit nicht der Einzige sein werde, der die Aufnahme gleich mehrfach hintereinander anhören mag. Das ist Mozart in Vollendung und hebt sich deutlich vom musikalischen Einerlei ab, das gerade bei diesem Komponisten leider allzu oft dargeboten wird – daher die Höchstbewertung.

Auch aufnahmetechnisch kann die Aufnahme überzeugen: Die Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem ist schon fast ein Garant für ein gelungenes Klangbild, allerdings erscheint der Steinway-Flügel – aus welchen Gründen auch immer – nicht mittig, sondern leicht nach links versetzt.

Ein paar wichtige Mozart-Klaviersonaten fehlen noch in Evgeni Koroliovs Diskographie – man darf also hoffen.

Martin Blaumeiser

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