Hat eigentlich je ein Pianist ein Ravel-Recital mit dem letzten der "Miroirs" begonnen? Oder aus dem "Gaspard" nur den "Galgen" ausgewählt und die Gipfel der Hochleistungspianistik vom "Scarbo" bis zur "Alborada" gleich ganz ausgelassen? Wer Klavier spielt wie Evgeni Koroliov wird kaum die Unterstellung zu fürchten haben, diese seien ihm zu schwer.

Seine eigentümliche Dramaturgie scheint strukturellen Bezügen nachzuspüren. Ich habe nie zuvor wahrgenommen, dass die "Oiseaux tristes" und der hier unmittelbar folgende "Gibet" nicht nur mit der exakt gleichen rhythmischen Keimzelle beginnen, sondern auf dem gleichen Des. Oder, verborgener, die "Sonatine" mit dem identischen Motiv wie das "Vallée des cloches".

Aber bei musikologischer Beziehungs-Alchemie bleibt Koroliov nicht stehen. Er will Wesentlicheres zeigen. Die Palette ist auf durchescheinendes grau-in-grau reduziert. Farbig-Stimmungshaftes ist sehr zurückgenommen. An diesen extrem präzise geknüpften Silberdrahtgespinsten mag kein Kolorit und keine programmatische Idee mehr haften, und so sind die außermusikalischen Bezüge ziemlich ferngerückt, sei es fernes Glockenbimmeln, seien es Vogelklagen.

Dieses Klangbild legt die clavecinistischen Wurzeln dieser Musik frei, die Couperin mehr verdankt, als man meistens hört, und spielt gelegentlich sehr raffiniert mit einer Übersetzung des Notentextes in die stilistische Sprache des Cembalos. Die kleinteiligen dynamischen Ereignisse verwandelt Evgeni Koroliov ins agogische, als stehe im das Potenzial des Flügels nur begrenzt zur Verfügung: Aus einem Decrescendo wird eine winzige Verlangsamung, Akzente oder Expresiv-Bezeichnungen verwandeln sich in subtile Desynchronisationen der Hände. Solche allgegenwärtigen, zarten Verschiebungen beseelen das Mechanische. So findet Koroliov zur magischen Kunst Ravels, der unbelebten Welt der Dinge Leben einzuhauchen.

Matthias Kornemann

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