Akustische Rückblicke in die Vergangenheit anno 1905. Camille Saint-Saëns spielt eigene Werke, Ausschnitte aus seinen (für Klavier adaptierten) sinfonischen Kompositionen - und auf völlig unerschrockene, nämlich stilistisch für heutige Begriffe ungekämmte, sorglose Weise auch Stücke aus dem klassisch-romantischen Repertoire. Wer Ohren hat zu hören, der mag etwa bei Saint-Saëns’ Umgang mit dem langsamen, skurril-melodiösen, reich verzierten Satz aus Beethovens Sonate op. 31,1 seine Probleme anmelden (sofern er Aufnahmen mit Kempff, Brendel oder auch Radio-Mitschnitte mit Sokolov in Erinnerung hat). Doch wie schön ist es zu verfolgen, wie seinerzeit die Interpreten (und in diesem Spezialfall ein Komponist) die ihnen vorliegenden Partituren gelesen, gedeutet haben. Das knistert, das wackelt und vibriert; es ist ein kurzfristiges Lesen und Erschauern, als habe der Spieler - ohne jede Kenntnis anderer Deutungen - Kontakt zu den überlieferten Schöpfungen aufgenommen.
Die Tonqualität dank der Welte-Mignon-Technik ist unter Verwendung eines heutigen Instruments vorzüglich. Es handelt sich also nur bedingt um eine historische Aufnahme. Lediglich die von Saint-Saëns verfügten gestalterischen Daten sind Musikgeschichte aus der Steinzeit der musikalischen Aufzeichnung. So darf man den Tacet-Leuten besten Gewissens bescheinigen: ihre Welte-Mignon Mystery Vol. IX ist Teil einer Initiative, die Vergangenheit und Gegenwart auf technisch erdenklich höchstem Niveau versöhnt und zu einem geradezu rührenden Erlebnis macht.
Peter Cossé

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