Vom steirischen Graz aus schwärmt der Pianist Markus Schirmer seit einigen Jahren mit großem Erfolg in Richtung Internationalität aus. Ich schätze ihn als Pianist seit seinen ungemein tatendurstigen, reaktionsschnellen Haydn-Aufnahmen für das Label Lotus als einen der wichtigsten österreichischen Künstler, dessen Interessen sich nicht nur auf konventionelle Klavierprogramme beschränken, sondern beispielsweise im Rahmen einer Produktion der Mussorgsky-Bilder den Schauspieler Wolfram Berger einplanen, der passende Texte des Dichters V. Chlebnikov zu Schirmers (auf Tacet dokumentiertem) Klavierspiel beigetragen hat.

Nun aber lässt Schirmer mit einer zweiten Beethoven-CD für den im Heutigen und im Gestrigen (Welte-Mignon!) so rührigen und klanglich mehr als untadelig agierenden Produzenten aufhorchen. Ein Beispiel: In den wirbelnden, an eine Tarantella erinnernden Finalsatz der Es-Dur-Sonate op. 31,3 fädelt sich Schirmer in leiser, fast schon heimlich anmutender Turbulenz ein. Die meisten Kollegen aus alter und in jetziger Zeit bitten da ihre zunächst solo pulsierende Linke kantig bis rumpelnd um Aufmerksamkeit, ehe die Rechte sich thematisch in der höheren Etage der Tastatur einblenden darf. Da zeigt Schirmer eine ganz eigene Gewichtung des Oftgespielten, zeigt anschaulich, wie sich ein Satz entfalten lässt, wie man (auf der Basis bester, also bedacht eingesetzter Mechanik) ein Musikkapitel wie neu aufschlagen kann.

Der erste Satz der Waldstein-Sonate ist und bleibt eine Problemzone, denn allzu verlockend scheint es, die C-Dur-Akkordrepetitionen als Ausdruck eines vorverlegten Maschinenzeitalters zu deuten, um dann im Folgenden ohne Rücksicht auf verdeckte Zärtlichkeiten den ganzen Satz herunterzuspulen. Von Glenn Gould ist überliefert, dass er mit der Motorik dieser Sonate nichts anzufangen vermochte. Erwiesen ist jedoch, dass es im Tempo und in der Diktion auch verhaltener geht. Claudio Arraus erste Philips-Einspielung ist der für mein Empfinden fesselnde Beleg, wie sich auf den ersten Notenblick hin der monotonen Motivik mit bewusstem Geben und Nehmen – also im Sinne von mitfühlender Agogik – Leben einhauchen lässt. Schirmer nun bewerkstelligt diese Phase um eine Spur schlanker als Arrau, aber man wird ihm nicht vorwerfen können, wie so viele seiner Mitbewerber nur lässig dahin zu rattern. Das hat im ersten Ansprung auf die Partitur gehörig Sinn und Verstand, sodass sich diese Sonate organisch über alle Schnelligkeiten und Nachdenklichkeiten gleichsam vor dem Hörer ausbreitet.

Was die eingangs immer wieder in raschem Tempo dahin gehudelte G-Dur-Sonate op. 31,1 anbelangt, so findet Schirmer einen überzeugenden Mittelweg zwischen Etüden-Geschäftigkeit (nämlich in den ausschweifenden Dreiklangszerlegungen) und Vorsicht im Bereich des hauptthematisch wichtigen Vorschlags – und auch später in der biedermeierlich anmutenden Naivität des tänzerischen Seitenthemas. Alles wirkt klar und frisch „erzählt“. Die mehr technischen Passagen sind mit Fingerfertigkeit, aber auch mit Liebe eingepasst.

Genug der Details: Markus Schirmer ist eine von Empfindung geprägte, von Intelligenz fundierte, technisch makellose Beethoven-CD gelungen, die ich ohne zu Zögern auf eine Stufe mit neueren Aufnahmen etwa von András Schiff oder Gerhard Oppitz stelle.
Peter Cossé

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