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Im Verlauf von Folge 15 seiner Gesamtaufnahme aller 555 Scarlatti-Sonaten erweist sich Christoph Ullrich nicht nur als hellhörig musikalischer Geschichtenerzähler, sondern – nämlich im Zauberreich der Triller und ihrer fingerartistischer Unter- und Nebenarten – als pianistischer Vogelkundler. Im Begleitheft äußert sich der in Sachen Scarlatti so unermüdliche Pianist in einem Beitrag unter dem fragenden Titel "Zirkusakrobatik oder Naturlaut?". Es handelt sich um einfallsreich in der Barockzeit fahndende „Gedanken zu den Verzierungen in Scarlattis Sonaten“. Und der Hörer darf sich überlegen, ob er den Beobachtungen und Mutmaßungen Ullrichs folgen möchte, immerhin kommt er zum Schluss: "Scarlattis Kompositionsstil weist durchaus Ähnlichkeiten mit dem Gesang der Vögel auf. Die oft impertinente Wiederholung einzelner Motive und thematischer Zellen findet sich hier wie dort (nämlich auch bei Bach /Anm.). Es wird viel repetiert, ohne dass der Hörer es als störend, als unorganisch empfindet. (…) Und erst die Triller!"

Noch wichtiger als diese, wie ich meine, anregenden, einem einfühlsamen und wertschätzenden Hören absolut dienlichen Aspekte der beiden neuen CDs scheint mir der Umstand, dass sich Ullrich inzwischen mit all seinen manuellen Geschicklichkeiten und einer Fülle von gestalterischen Einsichten ungemein beweglich und wohl auch emotinal gleichsam entsichert auf Sonatenabenteurer befindet. Mit einem D-Dur-Allegro (K 484, bzw. L 119) springt er in die imaginäre Arena pianistischer Dressur. Dies freilich im Sinne akkurater, ja penibler Vorbereitung, denn die schnelllebigen und schnurrigen Formate wollen erst einmal einstudiert und nach rein materialen Gesichtspunkten „gekonnt“ sein. Ullrich „liefert“ diese Nummern, wie mir scheint, um mehr als nur Nuancen prägnanter und zugleich lockerer und im besten Sinne redseliger als in den ersten Ausgaben Vol. 1, 11 und 14.

Anders gerühmt: dem Göttinger Interpreten gelingt es nun, den einzelnen Sonaten Klang, Mobilität, Charme, Verrücktheit oder auch lineare Klarheit zu sichern, als wäre er mit je einer einzelnen oder – wie im Konzertleben – mit einer kleinen Auswahl unterwegs. Das heißt: es gelingt ihm in diesem vierten Anlauf auf den Scarlatti-Gesamtsieg, auf einem darstellerischen und fingertechnischen Niveau zu agieren, wie es nur von wenigen „Konkurrenten“ vergangener Scarlatti-Zeiten erreicht worden ist. Zwei hübsche Improvisationen über die Sonaten K 487 und K 496 mit dem Drummer Eric Schaefer sind der Beweis, dass Ullrich es sich nicht nehmen lässt, dem zentralen Thema seiner momentanen Musikvita entspannende Fußnoten beizufügen.

Peter Cossé

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