Musik ist immer Flucht in eine andere Welt. Warum soll man diese Fluchtwelten nicht in den schillerndsten Farben anmalen? Salonmusik tut genau das. Sie lässt den Hörer in Welten fallen, die praller, farbsatter und dichter gefüllt mit Leidenschaft sind als jeder Roman. Einmal richtig schwelgen – warum nicht? Auch wenn es nur eine Illusion ist.
Die Musiker vom Ensemble Narcissus sind Experten darin, solche Klangwelten von romanhafter Farbigkeit aufzuziehen. Sie sind unsere Reiseleiter bei diesen Kurztrips ins Reich der Illusion,wo wir für wenige Minuten schmachtende Liebhaber oder stolze Tangohelden sind, Schlittenfahrer,Pusztareiter oder Walzertänzer im Mondlicht der Alster.
»Illusion(en)« heißt denn auch die neue CD des Reutlinger Quintetts, die 18 Perlen dieses oft verkanntenGenres versammelt. Eine raffinierte Dramaturgie haben sie sich dafür einfallen lassen, Markus Rettenmayr und Friederike Mercy an denViolinen, Thomas Lambeck am Cello, Hartmut Gessinger am Kontrabass und Rudolf Mercy am Klavier. Erst wiegen sie uns in galanten Tanzparkett-Klängen, mit Stücken wie »Für Sie, Chérie« und »Jeu d’amour«. Doch mit Helmut Ritters Tango-Fantasie »Gelbe Narzissen« und Hans Zanders »Polka Express« beginnt der Tanzboden zu glühen. Da kippt die schäumende Festlaune,bricht dunkles Sehnen sich Bahn, in den Tangos von Astor Piazzolla, im russischen Walzer von Jacob Gade. Plötzlich finden wir uns im rasenden Galopp auf der ungarischen Tiefebene wieder in Mihály Erdélyis »Puszta-Fox«. Ehe das Trugbild sich mit Franz Grothes berühmter Melodie zum Film »Illusion« auflöst.
Zur Auflockerung von der durchlittenen Dramatik dürfen wir mit Hans Zander ein bisschen Cowboy spielen und mit Henk Bruyns und Johann Strauß Pferdeschlitten und Eisenbahn fahren. Noch einmal bricht Melancholie durch mit den Gedanken an Faymé, das slawische Mädchen.Ehe die Illusion mit zarten Erinnerungen an Piroschka verblasst.
Welch eine Reise mitten durch nostalgische Filmkulissen! Dass die Musiker von Narcissus geübte Experten für diese Welten sind, hört man in jedem Ton. Die Geigen glitzern, das Cello schluchzt, der Kontrabass raunt, das Klavier webt fliegende Klangteppiche zur Reise durch Fantasia. Dabei hat hier alles Geschmack, bleibt ausgewogen, klar in den Linien und kompakt in der Rhythmik. Schwelgen? Ja. Schwulst? Nein, nicht bei denen hier. Anmut, Grazie, Leichtigkeit, Zupacken und vollendetes melodisches Strömen jedoch sehr wohl. Bitte gerne noch mehr solcher Reisen! (akr)

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