Zu den wichtigsten Leistungen im Verlauf des Haydn-Jahres 2009 - und zweifellos weit darüber hinaus! - zählen für mich die Einspielungen des Auryn Quartetts. Klanglich superb von der TACET-Technik eingefangen, führt das Ensemble mit Matthias Lingenfelder an der geigerischen "Spitze" in eine Welt des musikalischen Urerlebens fernab von allen akademischen Grenzziehungen. Haydn - das zeigen erneut (oder in diesem Falle noch stärker!) die Einspielungen der Auryns - befand sich auf wundersame Weise auf dem ästhetischen Boden seiner Zeit, lieferte, was begehrt war - und im selben Moment entfernte er sich aus diesem Raster gepflegter, genehmer Kammermusik, notierte gleichsam abgehoben vom musikantischen Benimm die Zukunft autonomen Komponierens. Den Quartett-Interpreten scheint diese beruflich-schöpferische Doppelfunktion ans Herz gewachsen zu sein, denn sie führen durch diesen faszinierenden, gleichwohl übersichtlichen Irrgarten des Gewohnten und des Unerhörten mit einer Sicherheit und kontrollierten Leidenschaft, die kaum in der Geschichte des medial dokumentierten Quartettspiels erreicht worden ist.

Der Gesamtklang des Ensembles wirkt ausgewogen, harmonisch in den verhaltenen Schönheiten der langsamen Sätze. Man atmet, gibt sich wechselseitig Raum, respektiert Solistisches des Partners, aber man arbeitet, kämpft in den aggressiveren Passagen auch - mit Achtung freilich - gegeneinander. Kammermusik auf hohem Niveau ist ja alles andere als ein feiertäglicher Betriebsausflug, sondern das Ergebnis von oft schmerzhafter, langwieriger Meinungsbildung. Dieser Prozess sollte im Stadium einer gewachsenen - dabei keineswegs endgültigen - Interpretation auch weiterhin zu spüren sein. Dadurch vibriert es, lebt es, wenn eine Musikerformation im Studio auf das Vorbereitete zurückgreift. Im Rückgriff aber auf das Geprobte sollte sich das Terrain der gestalterischen Freiheit öffnen, sollte das Überraschende, das Unerwartete wie in einer ersten, keuschen und zugleich erotischen Begegnung zum Wegweiser werden.

Dies und manches mehr vermitteln diese Einspielungen der sechs von Graf Joseph Erdödy bestellten, 1799 und 1780 in Druck erschienenen Quartette, deren musikalische Außerordentlichkeiten auch im Zusammenhang mit dem freieren Dienstverhältnis des Komponisten, aber auch als Resonanz auf seine großen Erfolge während seiner zwei England-Reisen zu verstehen sind. Haydn emanzipierte sich auf paradoxe Weise von sich selbst. Die Menuette mutierten in diesen Quartetten fast durchweg in Richtung Scherzo! "Presto" fliegt das menuat des G-Dur-Quartetts (op. 76,1) vorüber - und ebenso atemlos gibt sich das Menuett des Quartetts op. 76.6. "Gott erhalte Franz den Kaiser" tönt es fürbittlich im "Poco Adagio. Cantabile" des C-Dur-Quartetts (op. 76,3). Haydn hatte sein monarchietreues Lied zur Absolutheit von Quartett-Variationen erhoben und somit in die kammermusikalische Praxis eingespeist. Man erhalte uns auch das Auryn Quartett! Seit nunmehr 28 Jahren konzertieren Matthias Lingenfelder, Jens Oppermann, Stewart Eaton und Andreas Arndt in der Urbesetzung von 1981. Eine Wegstrecke, auf die nur wenige Streichquartette zurückblicken können.
Peter Cossé

<< retourner