Frédéric Chopin ist 16 Jahre alt, als er seine ersten beiden Mazurken komponiert. Und noch seine letzte Komposition, an der er im Oktober 1849 auf dem Totenbett arbeitet, ist eine Mazurka in f-Moll. Es war nicht leicht für die Chopin-Forscher, die Skizzen dieses rätselhaften, von düsteren Schatten und tiefer Resignation verdunkelten Werkes zu entziffern und zu ergänzen.

Nein, die Mazurken waren alles andere als nebensächliche Gelegenheitswerke oder harmlos freundliche Salonstücke für Chopin, wie man es ihnen immer wieder einmal unterstellte. Es gibt nur wenige Jahre, in denen er sich nicht mit dieser Form beschäftigt hat. Nachdem er 20-jährig gen Westen aufgebrochen ist, nach Wien, Stuttgart, schließlich Paris geht, sind es nicht zuletzt die Mazurken, in den der junge Pole die oft melancholische Erinnerung an die Heimat, an seine Kindheit und Jugend wach hält.

In den Jahren 1824 und 1825 verbringt der Junge die Sommerferien bei der Familie eines Schulfreundes auf einem Landgut in Szafarnia, das an die Provinzen Masowien und Kujawien grenzt. Schon das Kind interessiert sich für die Gesänge und Tänze dieser Gegend, und hier eben liegen die Ursprünge der Mazurka, jenes Tanzes, der Chopin in unendlich vielen Varianten durch sein kurzes Leben begleiten wird, oft in Form abgründiger Erzählungen von Ausweglosigkeit und Trauer.

So schön wie jetzt beim großen russischen Pianisten Evgeni Koroliov war das lange nicht zu erleben. Koroliov hat fantastische Bach-Einspielungen veröffentlicht, Prokofjew, Debussy, Schubert, Schumann in großartigen, tiefsinnigen Aufnahmen vorgelegt. Seine Interpretation der Chopin-Mazurken reiht sich da nahtlos ein. Koroliov spielt diese Musik mit faszinierendem Gespür für Zeit und Rhythmus, im Grunde streng, ohne überzogene Rubati und Verzögerungen, ohne alles Aufgesetzte, Parfümierte, Effektvolle. Ein schlackenloser, nachdenklicher, ganz nach innen gerichteter, tief empfundener Chopin, der sich eben nicht in den Pariser Salons, sondern eher in der Landschaft Masowiens und Kujawiens verliert. Schon jetzt ganz sicher eine der schönsten Chopin-CDs des anstehenden Jubiläumsjahres.
Oswald Beaujean

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