"Beethoven nach Maß
Nachdem über Beethovens originale Metronomangaben genügend gestritten worden ist, und dabei die abstrusesten Meinungen geäußert wurden - wie etwa die einer Halbierung der Zählzeiten zugunsten der "besseren" Spielbarkeit der angeblich überzogenen Tempi, kann man vielleicht wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Und das Abegg-Trio tut dies, indem es sich, da für die Klaviertrios keine Metronomisierungen Beethovens existieren, an den wohl verläßlichsten Zeugen, an Carl Czerny (1791-1857), hält. Dieser hatte (wie er selbst schreibt) "schon in früher Jugend (vom Jahr 1801 an) den Unterricht Beethovens im Clavierspiel genossen, alle Werke desselben gleich bei ihrem Erscheinen, und viele darunter unter des Meisters eigener Leitung mit größter Vorliebe einstudiert, und sich auch später, bis an Beethovens letzte Tage, seines freundschaftlichen und belehrenden Umgangs erfreut."
Ein Glück, daß Czerny in seine Darlegungen "über den richtigen Vortrag der sämtlichen Beethovenschen Klavierwerke" (Wien 1842) neben Sonaten und Konzerten auch die Klavierkammermusik einbezogen hat; ein weiteres, daß er es nicht etwa nur bei Metronomangaben bewenden ließ, sondern recht detailliert den Stil der Komposition wie die Art ihrer Interpretation charakterisierte. Daran kann man sich also halten - und das einzig Verwunderliche bleibt dann, fast mehr noch als die Frage, warum das in der Praxis so gut wie gar nicht geschieht, wieso denn das schlechte Gewohnheitsrecht der Konzertsaalgepflogenheiten in höherem Ansehen steht als die verbürgten, klar formulierten Anweisungen eines Beethoven-Schülers. Sollte ausgerechnet da der sonst so gepriesene Wille zu historischer Wiedergabetreue eine undurchdringliche Blindstelle haben? Das Abegg-Trio, 1976 an der Musikhochschule Hannover gegründet und mittlerweile zu berechtigtem internationalen Ruhm gelangt, stört sich jedenfalls nicht am Gejammer falsch eingeübter Kammermusikfreunde, sondern läßt es auf einen Versuch mit Czernys stichhaltiger Unterweisung ankommen.
Freilich, das muß man sich auch leisten können. Denn die Frische, der zupackende Elan der durchweg rascher und lebendiger als üblich ablaufenden schnellen Sätze stellen schon einige Anforderungen an Spieltechnik und instrumentale Beherrschung, auch ans Reaktionsvermögen und den funktionsfähigen, dabei locker unverkrampften Ensemble-Zusammenhalt. Doch sind diese Voraussetzungen vorhanden wie bei den Abeggs, ist der Gewinn enorm. Gerade den ersten drei Trios, dem Opus 1 eines Komponisten Anfang der Zwanzig, - wobei Czerny (wie im Faksimile-Abdruck des Begleithefts nachzulesen) den "ernsteren und großartigeren Charakter" des dritten Trios in c-Moll schon nachdrücklich abhebt - bekommt dieser Ausbruch aus bedeutungsverhangener bürgerlicher Beethoven-Behäbigkeit ganz ausgezeichnet. Vergleiche mit Aufnahmen besteingeführter, konzerterfahrener Klaviertrios können da überaus lehrreich sein. Denn es ist ja nicht nur das flüssigere Tempo (vereinzelt erreichen das sogar andere), vielmehr machen die Gestik, der keineswegs daran gekoppelte Verzicht auf Attacke, dynamische Kontur und Ausdruckspräsenz, den wesentlichen Unterschied: Beweglichkeit plus durchgebildete Phrasierung, Raschheit plus Intensität. Und dabei läßt sich noch etwas Spezielles beobachten: Dem Abegg-Trio gelingt, was höchst selten ist, eine klangliche Angleichung zwischen Streichern und Klavier durch bewußtes Nachbilden von beidseitigen Artikulationseigenheiten, also - grob gesagt - Kürzung der Striche bei schneller Figuration gegen Kantabilisierung des Klavieranschlags bei melodischen Linien. Im Umkreis solcher technischer Konsequenzen aus dem Aufeinander-Hören liegt überhaupt das Geheimnis jenes Primäreindrucks von bruchlosem Zusammenstimmen und musikalischer Einheitlichkeit.
Der Verdacht, was für Opus 1 bei einem noch relativ jungen, ganz auf die kammermusikalische Arbeit eingestellten Ensemble ein Vorteil sein mag, könnte sich bei späteren Beethoven-Werken doch als weniger zureichend herausstellen, wird schon durch die ersten beiden CDs, die bald durch zwei weitere zu einer Gesamteinspielung komplettiert werden sollen, mit der Wiedergabe des "Geistertrios" widerlegt. Nicht nur haben die Abeggs keinerlei Scheu (wie die meisten anderen), den ersten Satz - ohne Verlust an Spannung - mit allen Wiederholungen zu spielen, sondern sie breiten auch das titelgebende Largo assai ed espres- sivo als eine große bilder- und farbenreiche Szene aus voller atmender Ruhe und gestauter Erregung, aus der erst das Finalpresto wieder heraus und zu pulsierender Realität führt. - Vielleicht war′s gut, daß die Abegg-Aufnahme aus den frühen achziger Jahren mit den ersten beiden Trios (bei Harmonia mundi) damals keine Fortsetzung fand und erst jetzt, beim zweiten Ansetzen auf einer Stufe gewachsener Erfahrung, die Erweiterung zum Gesamtzyklus unternommen wird."
Ulrich Dibelius
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Nachdem über Beethovens originale Metronomangaben genügend gestritten worden ist, und dabei die abstrusesten Meinungen geäußert wurden - wie etwa die einer Halbierung der Zählzeiten zugunsten der "besseren" Spielbarkeit der angeblich überzogenen Tempi, kann man vielleicht wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Und das Abegg-Trio tut dies, indem es sich, da für die Klaviertrios keine Metronomisierungen Beethovens existieren, an den wohl verläßlichsten Zeugen, an Carl Czerny (1791-1857), hält. Dieser hatte (wie er selbst schreibt) "schon in früher Jugend (vom Jahr 1801 an) den Unterricht Beethovens im Clavierspiel genossen, alle Werke desselben gleich bei ihrem Erscheinen, und viele darunter unter des Meisters eigener Leitung mit größter Vorliebe einstudiert, und sich auch später, bis an Beethovens letzte Tage, seines freundschaftlichen und belehrenden Umgangs erfreut."
Ein Glück, daß Czerny in seine Darlegungen "über den richtigen Vortrag der sämtlichen Beethovenschen Klavierwerke" (Wien 1842) neben Sonaten und Konzerten auch die Klavierkammermusik einbezogen hat; ein weiteres, daß er es nicht etwa nur bei Metronomangaben bewenden ließ, sondern recht detailliert den Stil der Komposition wie die Art ihrer Interpretation charakterisierte. Daran kann man sich also halten - und das einzig Verwunderliche bleibt dann, fast mehr noch als die Frage, warum das in der Praxis so gut wie gar nicht geschieht, wieso denn das schlechte Gewohnheitsrecht der Konzertsaalgepflogenheiten in höherem Ansehen steht als die verbürgten, klar formulierten Anweisungen eines Beethoven-Schülers. Sollte ausgerechnet da der sonst so gepriesene Wille zu historischer Wiedergabetreue eine undurchdringliche Blindstelle haben? Das Abegg-Trio, 1976 an der Musikhochschule Hannover gegründet und mittlerweile zu berechtigtem internationalen Ruhm gelangt, stört sich jedenfalls nicht am Gejammer falsch eingeübter Kammermusikfreunde, sondern läßt es auf einen Versuch mit Czernys stichhaltiger Unterweisung ankommen.
Freilich, das muß man sich auch leisten können. Denn die Frische, der zupackende Elan der durchweg rascher und lebendiger als üblich ablaufenden schnellen Sätze stellen schon einige Anforderungen an Spieltechnik und instrumentale Beherrschung, auch ans Reaktionsvermögen und den funktionsfähigen, dabei locker unverkrampften Ensemble-Zusammenhalt. Doch sind diese Voraussetzungen vorhanden wie bei den Abeggs, ist der Gewinn enorm. Gerade den ersten drei Trios, dem Opus 1 eines Komponisten Anfang der Zwanzig, - wobei Czerny (wie im Faksimile-Abdruck des Begleithefts nachzulesen) den "ernsteren und großartigeren Charakter" des dritten Trios in c-Moll schon nachdrücklich abhebt - bekommt dieser Ausbruch aus bedeutungsverhangener bürgerlicher Beethoven-Behäbigkeit ganz ausgezeichnet. Vergleiche mit Aufnahmen besteingeführter, konzerterfahrener Klaviertrios können da überaus lehrreich sein. Denn es ist ja nicht nur das flüssigere Tempo (vereinzelt erreichen das sogar andere), vielmehr machen die Gestik, der keineswegs daran gekoppelte Verzicht auf Attacke, dynamische Kontur und Ausdruckspräsenz, den wesentlichen Unterschied: Beweglichkeit plus durchgebildete Phrasierung, Raschheit plus Intensität. Und dabei läßt sich noch etwas Spezielles beobachten: Dem Abegg-Trio gelingt, was höchst selten ist, eine klangliche Angleichung zwischen Streichern und Klavier durch bewußtes Nachbilden von beidseitigen Artikulationseigenheiten, also - grob gesagt - Kürzung der Striche bei schneller Figuration gegen Kantabilisierung des Klavieranschlags bei melodischen Linien. Im Umkreis solcher technischer Konsequenzen aus dem Aufeinander-Hören liegt überhaupt das Geheimnis jenes Primäreindrucks von bruchlosem Zusammenstimmen und musikalischer Einheitlichkeit.
Der Verdacht, was für Opus 1 bei einem noch relativ jungen, ganz auf die kammermusikalische Arbeit eingestellten Ensemble ein Vorteil sein mag, könnte sich bei späteren Beethoven-Werken doch als weniger zureichend herausstellen, wird schon durch die ersten beiden CDs, die bald durch zwei weitere zu einer Gesamteinspielung komplettiert werden sollen, mit der Wiedergabe des "Geistertrios" widerlegt. Nicht nur haben die Abeggs keinerlei Scheu (wie die meisten anderen), den ersten Satz - ohne Verlust an Spannung - mit allen Wiederholungen zu spielen, sondern sie breiten auch das titelgebende Largo assai ed espres- sivo als eine große bilder- und farbenreiche Szene aus voller atmender Ruhe und gestauter Erregung, aus der erst das Finalpresto wieder heraus und zu pulsierender Realität führt. - Vielleicht war′s gut, daß die Abegg-Aufnahme aus den frühen achziger Jahren mit den ersten beiden Trios (bei Harmonia mundi) damals keine Fortsetzung fand und erst jetzt, beim zweiten Ansetzen auf einer Stufe gewachsener Erfahrung, die Erweiterung zum Gesamtzyklus unternommen wird."
Ulrich Dibelius
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