"Denk an den Tod - Das Abegg Trio lernt vom Original-Tschaikowsky
In Autograph und Erstdrucken seines Klaviertrios a-Moll op. 50 bittet Peter Tschaikowsky, ′sehr genau die Tempoangaben des Komponisten zu befolgen′, die er verbal und metronomisch festlegte. Wie folgenreich dies für die Wiedergabe sein kann, verdeutlicht das Abegg Trio in seiner Einspielung nach der Originalhandschrift. Die Tempi des ′Pezzo elegiaco′ klingen vielfältiger, mit flexibleren Übergängen. Weil sich das Ensemble bei der Fuge, der achten Variation des zweiten Satzes, an die autographe Tempoangabe ′Viertel gleich Halbe′ (der siebenten Variation) hält, dauert die Fuge ein Drittel länger als üblich und dehnt sich so zu einem Zentrum im ′Tema con variazioni′.
Das ist nur ein Beispiel für eine ungewohnte Lesart von Tschaikowskys unkonventionell geformtem Epitaph für einen großen Künstler - den 1881 gestorbenen Nikolaj Rubinstein. Weitere Abweichungen ergeben sich aus den originalen Stricharten. Die Abeggs artikulieren das Werk konturierter, in den Klangfiguren vielgestaltiger als üblich, ohne auf das satte Schwermutsmelos zu verzichten. Bisher hielten sich die meisten Interpreten an die spieltechnisch glättenden, brillanzfördernden Angaben in den Erstdrucken. Da Tschaikowsky sie billigte, sind sie in die Rezeptionsgeschichte eingegangen und als Basis für Auslegungen nicht rundweg zu verwerfen. Doch bei der ′Variazione finale e Coda′, die sich zu einem eigenen dreiteiligen Satz auswächst, spricht viel für die Urfassung. Die originalen Strich- und Tempoangaben lassen das Allegro risoluto e con fuoco nicht nur entschieden und feurig erscheinen, sondern von den ersten Takten an verzweifelt gehärtet, zerrissen. Dadurch wirkt dieser erste Satzteil besonders gestrafft, zusätzlich zur Kürzung, die Tschaikowsky in der Druckfassung von 1892 selbst vorgeschlagen hatte. Dieser Kompromiß zwischen Urfassung und ′Nouvelle edition revue et corrigee par l′auteur′ lohnt sich: Das in voller Länge etwas geschwätzige, vordergründig brillante Allegro spitzt sich so zu dem niederschmetternd verzweifelten Andante con moto und dem resigniert verlöschenden Trauermarsch zu: ein bezwingender Schluß.
Den Gedenkstein-Gedanken hat das Abegg Trio weitergesponnen: Tschaikowskys Trio ist das einsätzige ′Trio élégiaque′ des Studenten Sergej Rachmaninow vorangestellt, der später seinen Dreisätzer gleichen Titels op. 9 dem plötzlich gestorbenen Tschaikowsky zueignete. Und die Abeggs widmen ihre Aufnahme dem Andenken an ihren 1996 gestorbenen Freund, den Zeichner und Schriftsteller Horst Janssen, dessen Birkenwald aus dem Band „Tocka" (Schwermut) das pics schmückt."
Ellen Kohlhaas

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