"Wer heute den unzähligen Aufnahmen von Bachs "Wohltemperiertem Klavier, Teil 1" noch eine weitere zugesellen will, muss Gesicht zeigen. Zu groß ist die Konkurrenz. Das Verlangen nach dem spektakulär Anderen ist enorm. Trotzdem ist es schön, einmal wieder ein Bach-Spiel zu hören, das gänzlich unbelastet scheint von solchen Überlegungen. Evgeni Koroliov kann mithalten mit den genialischen Vexierspielen des Glenn Gould oder den Entdeckungen der "Orginalklang"-Praxis - weil er Eigenes zu sagen hat, auch wenn er kaum abzuweichen scheint von den bekannten Pfaden. Was nicht heißen soll, dass nichts mehr zu lernen wäre aus seinen Bach-Deutungen. Das luftige und dennoch stabile d-Moll-Präludium, die substanziell scharf gefasste Gegensätzlichkeit im e-Moll-Präludium hat man derart noch kaum gehört. Koroliov findet für jedes Stück eine ihm eigene Farbe, aufgefächert zwischen archaisch robustem Zupacken (c-Moll-Präludium) und pianistisch ausgefeiltem Klangspiel (in den virtuosen Präludien Cis-Dur, G-Dur und B-Dur etwa). Am nachhaltigsten aber fesselt er da, wo er am tiefsten gräbt: Das ruhige, selbstvergessene Loten nach dem Grund etwa der großen Moll-Fugen fördert nichts weniger zu Tage, als das eigentlich Entscheidende dieser Musik."
Johannes Rubner

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