"Das Leichte ist das Schwere
Ludwig van Beethovens Klaviertrios mit dem Abegg-Trio
Nichts ist schwerer zu verwirklichen als das scheinbar Selbstverständliche. Und selbstverständlich sind für jedes Klaviertrio von Rang die Triokompositionen Ludwig van Beethovens. Mehr noch, über die unabdingbare Pflichtliteratur hinaus, sind sie Maßstab des eigenen Anspruchs und Könnens. Keine Trio-Vereinigung kann daran vorbeigehen, woraus sich auch die Vielzahl von Schallplatteneinspielungen dieser Werkgruppe erklärt. Im Herbst 1986 nahm das Abegg-Trio (mit Gerrit Zitterbart am Klavier, Ulrich Beetz. Violine, und Birgit Erichson. Violoncello) die Herausforderung der Beethoven-Trios und der schier übermächtigen Konkurrenz an. 1988 erschienen die ersten beiden Folgen dieser neuen Gesamtaufnahme mit den Abeggs. Es war ein Beginn mit einem Paukenschlag.
Denn die Frage hieß nicht historisierende oder moderne Wiedergabe, sondern: Wie groß ist die Beethovennähe? Hörbar zahlten sich die jahrelangen Konzerterfahrungen des Ensembles im Umgang mit Beethoven aus. Sorgfalt, Ernst und Klangkultur seiner Wiedergabe bildeten aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere bildeten Nachdenklichkeit, Phantasiefülle und eine ungewohnte innere Freiheit der Interpretation. Sie kontrapunktierten Brio und Bravour der Musik sprechend, ohne daß man deshalb schon von einem Beethoven des ausgehenden 20. Jahrhunderts oder gar des 21. Jahrhunderts schwärmen sollte, wie es geschehen ist. Der Beethoven des 18. und 19. Jahrhunderts mag genügen, sofern er nur mit der nötigen Überzeugungskraft, mit stilvoller Lebendigkeit und Mut zum Risiko daherkommt. Das tat er hier über weite Strecken, und das tut er erneut in den soeben veröffent- lichten Folgen III und IV dieser Gesamt- aufnahme des Abegg-Trios, die nicht nur die Werke ohne Opuszahlen und Beethovens Variationsreihen op.44 und op. 121a ent- halten, sondern vor allem die beiden Hauptwerke, das Es-Dur-Trio op. 70 Nr. 2 und das "Erzherzog-Trio" B-Dur op. 97. Wer meint, das Es-Dur-Trio op. 70 Nr. 2 stehe zu sehr im Schatten seines Schwesterwerkes - des "Geistertrios" op. 70 Nr. 1 - und sei deshalb kaum als Hauptwerk anzusehen, der wird vom Abegg-Trio eines Besseren belehrt. - Glücklicherweise. möchte man hinzufügen, denn die Interpreten rücken damit einiges zurecht, was nur Gedankenlosigkeit verursacht und bis heute kolportiert haben kann. Denn unter dem Zugriff der Abeggs gewinnt das Trio op. 70 Nr. 2 endlich wieder einmal jenen Rang, jene Würde und eigene Schönheit, die ihm große Interpreten seit je abgewinnen. Es ist unüberhörbar, daß das Abegg-Trio mit seiner Aufgabe wuchs. Wie man das Werk angeht, wie man es nicht nur blitzsauber, fein geschliffen und klanglich transparent hinlegt, sondern die Sätze gedankenvoll disponiert, organisch wachsen läßt und fern unangebrachtem Pathos abrundet, das ist großartig. Hier wird auf einem Niveau musiziert, das hohe Vergleiche nahelegt.
Der Rang eines Ensembles wird aber bei den scheinbar leichteren Werken besonders evident, etwa bei Beethovens frühen Kompositionen oder seinen Variationen. Denn der Musiker muß gerade hier sein Können beweisen. Er darf sich nicht auf den Charme, die Lyrik, die Originalität oder Monumentalität der Musik allein verlassen, sondern er muß durch sein Engagement, seinen Klangsinn, seinen Spielwitz und seine Intelligenz dem Werk ablauschen und gewinnen, was den Zuhörer überredet und überzeugt.
Wie das Abegg-Trio diese gern unterschätzten oder verkannten Beethoven-Werke angeht, wie es sie entwickelt und gestaltet, wie es sie gedanken- und empfindungsvoll kontrastiert, einfärbt und vertieft, das ist hörenswert und macht diese Gesamtaufnahme empfehlenswert. Hier wird nicht allein auf die Ausstrahlung der berühmten Kammermusiken vertraut, hier wird auch für eine Werkgruppe plädiert, die man auf diesem interpretatorischen und aufnahmetechnischen Niveau selten so lebendig und spannungsvoll gehört hat. Nicht das Detail ist entscheidend, sondern der Gesamteindruck einer ausgefeiltJn, exzellent durchgehörten und organisch atmenden Beethoven-Wiedergabe, deren Anspruch und Erfüllung weithin zur Dek- kung kamen."
Ekkehart Kroher

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