Die Grande Valse Brillante op. 34 in As-Dur beginnt mit Suchbewegungen der rechten Hand in Moll. Die Brillanz steckt nur im Titel. Bei Evgeni Koroliov klingt eine Chopin-CD nachdenklich aus. Die auftrumpfende Geste liegt ihm nicht. Nur nicht glänzen. Zeigen, was innen ist. Und wie es da funkelt. Trotzdem ist dieses Chopin-Spiel prunkvoll. Das liegt an den Farben. Als großer Bach-Spieler hat Koroliov natürlich das Wesen der Tonarten erforscht, wie sie aufeinander reagieren. Chopin hat Bach geliebt und ihn gründlich studiert. Verzierungen haben einen Sinn, sind nie nur Ornament, Swarovski-Steine am Salonkostüm. Koroliov, der Künstler, prunkt mit Tugenden. Er ist im Klanginnenraum. Nachmittagslicht wie auf Bildern von Adolph Menzel fällt herein. Das Prélude op. 45: eine Klangstudie in cis-Moll. Aus dem Klavier kommen die Träume. Mondsüchtig steigt das cis-Moll-Nocturne op. 27 aus den Tasten. Die f-Moll-Ballade op. 52 scheint über sich selbst nachzudenken, es ist wie improvisiert, nicht streng im Metrum. Als sei Klavierspielen so selbstverständlich wie Atmen. Die schwingende Bewegungswelle entsteht aus Beschleunigung und Entschleunigung. Die Gedanken schweifen. Koroliov will selber nichts erzählen, das überlässt er Chopin. Er greift ins Nichts und macht Gestalten sichtbar. Sein Spiel ist kontemplativ und kommunikativ. Auf eine verloren geglaubte Art: Die wiedergefundene Zeit. Es ist wie bei Proust.
Jürgen Holwein

<< zurück