Unter dem Ticken von Metronomen mühen sich Tag für Tag viele Klavierschüler mit den Französischen Suiten. Sie sind spielbar und kurz, taugen kaum für die Entfaltung virtuoser Pracht. Bach schrieb sie für Anna Magdalena, seine zweite Frau, eine Sängerin. Das Interesse großer Pianisten an ihnen verwundert. Es zeigt sich in Glenn Goulds individueller genauso wie in Evgeni Koroliovs musterhafter Aufnahme, um nur zwei Bezugsgrößen auf dem Konzertflügel zu nennen. Für Christoph Ullrich liegt der Reiz darin, die Perspektive ändern zu können: „Es gibt, gerade in der Barockmusik, ja nur wenige Spielanweisungen. Ich kann die Grundparameter der Musik – also das Tempo, die Dynamik, die Artikulation, die Klangfarbe – (…) in unendlich vielen Variationen verändern.“ So schreibt er im Booklet – und so setzt er es um. In kommunizierenden Stimmen von vollkommener Autonomie; in Phrasen, die wie vokale Linien aufscheinen; in kecken Kontrapunkten; in einer Vielfalt an Anschlagsvarianten – bis hin zur Imitation eines Cembalos mit zwei Manualen im Menuett der Suite Nr. 3. Ullrich muss irgendwo eine Experimentierwerkstatt unterhalten, wo er all die Klänge sucht und findet, von denen wir gar nicht wussten, dass der Steinway sie bietet. So spontan und facettenreich klang Bach lange nicht mehr.
Heinz Gelking

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