"Diese Schumann/Reger-CD des Pianisten Thomas Hell kommt rein äußerlich relativ unspektakulär daher, aber das täuscht. Durchaus ungewöhnlich ist bereits, dass Hell, Jahrgang 1970, sein CD-Debüt mit zwei nicht eben gängigen, dafür aber äußerst diffizilen Monumentalwerken der deutschen Romantik und Spätromantik gibt, was sich als Hinweis darauf lesen lässt, dass hier kein Schaumschläger, sondern ein wirklicher Klavierkünstler am Werk ist. Dies wird beim Hören auf überwältigende Weise bestätigt. In Schumanns "Humoreske" besticht vor allem die luzide Durchdringung der teils bizarren, teils schwärmerischen, teils volkstümlichen Charaktere, deren loses Nebeneinander in einer höheren poetischen Einheit aufgehoben zu sein scheint. Das vermag nur einer, der wirklich begriffen hat, worum es geht. Allenfalls könnte man Hell vorhalten, das letzte Quentchen an "Verrücktheit" schuldig geblieben zu sein, die wohl nötig ist, um bis in die letzten Geheimnisse von Schumanns musikalischer Poesie vorzudringen. In Regers Bach-Variationen dagegen vermisst man rein gar nichts. Hell, dem ein wunderbar klingender Steinway D nebst einer ausgezeichneten Tontechnik zur Verfügung standen, singt die Regerschen Kantilenen mit leuchtend-warmem Ton und atmender Phrasierung aus, versieht die gewaltigen Akkordmassen mit orgelhafter Klangfülle, macht selbst noch im dichtesten Gewühl thematische Verläufe deutlich und lässt auch in rein technischer Hinsicht nichts anbrennen. Kurz: hier bietet ein Pianist eine bis ins letzte Detail ausgefeilte, sehr geschlossen und organisch wirkende Deutung des Regerschen Variations-Kolosses, die sogar neben den Lesarten von Becker und Hamelin bestehen kann. Da fragt man sich natürlich, wieso Thomas Hell, der laut Booklet immerhin schon den Prix Blanche Seiva und den Prix SACEM Nadia Boulanger gewonnen hat, nicht schon längst zur ersten Riege der jüngeren deutschen Pianistengeneration gezählt wird. Und außerdem: Wann kommt die nächste CD?"
Robert Nemecek

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