"Verschwenderisch im Vermeiden
Evgeni Koroliov spielt Bach wie sonst keiner
Unaufwendiger sitzt kein Pianist am Klavier. Sein Oberkörper, seine Arme, die Art, wie er den Kopf hält (man sieht sie vor sich, die Klaviergenies, wie sie den Kopf in den Nacken legen und im Unendlichen des Konzertsaals das Göttliche erschauen), seine Mimik - nichts verrät, was in ihm vorgeht, und sollte er leiden, lässt er uns nicht daran teilhaben. Auf den Klavierpodien der Welt setzt man sich allenthalben in Szene. Doch auch Bescheidenheit kann inszeniert sein. Bei Evgeni Koroliov, 50, ist sie das nicht. Sein Haarschnitt stammt aus den siebziger Jahren. 1976 war er von Moskau nach Jugoslawien übergesiedelt. 1978 nahm er, 29-jährig, das Angebot einer Klavierprofessur an der Hamburger Musikhochschule an. Schon das Staatliche Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau, wo er noch selbst vor kurzem studiert hatte, bat ihn zu unterrichten. Als er dann in Hamburg ankam, hatte er bereits bei einigen Wettbewerben Preise geholt. Er trägt eine große Brille, die Brille eines belesenen Mannes. Er könnte Bibliothekar sein im höheren Dienst oder ein Uhrmacher, der es gewohnt ist, ein Stück in seine Einzelheiten zu zerlegen und wieder in ein großes Ganzes zusammen zu fügen. Koroliov ist ein Meister in seiner Werkstatt, nicht der Künstler im Salon. Am allerwenigsten entspricht er dem Mythos vom Pianisten, obwohl ihn, wenn es denn sein muss, der Geist eines Klaviertitanen überkommt, der aus Pianistenhänden Pranken macht. Heute ein nicht mehr junger, noch nicht alter Klavierprofessor, der Konzerte im ln- und Ausland gibt, und vor allem bei Bach, doch nicht nur bei Bach, viel zu sagen hat - ein Pianist, dem nicht der Ruf des Spektakulären vorauseilt und somit nicht der Vorstellung von Marketingleuten entspricht, wie Schallplattenkünstler zu sein hätten. Koroliovs erste CD erscheint denn auch erst 1990, bezeichnender Weise mit einer der rätseihaftesten Erfindungen, Bachs "Kunst der Fuge" - bei Koroliov eine Einübung in die Isolation. Natürlich nicht bei einem internationalen Label, sondern als 13. Veröffentlichung von Tacet (der kleinen, damals kaum bekannten Firma in Stuttgart). Der Komponist Györgi Ligeti hat gesagt, auf die berühmte Insel nähme er Koroliovs Bach mit, "denn diese Platte würde ich, einsam verhungernd und verdurstend, bis zum letzten Atemzug immer wieder hören". Zwei Jahre später geht Koroliov wieder ins Studio und entdeckt Tschaikowskys "Jahreszeiten" (Tacet 25). Er spielt Prokofiews Sarkasmen, einige Visions fugitives etc. (Tacet 32) und sorgt mit perkussivem Elan für stahlhelle Momente. 1995 folgen Schuberts B-Dur-Sonate und die Moments musicaux Op. 94 (Tacet 46).
Koroliov kann warten. Selbst Koroliov-Fan und -Produzent Andreas Spreer konnte ihn jahrelang nicht dazu bewegen, mit dem "Wohltemperierten Klavier" im Studio zu verschwinden, obwohl schon der 17-Jährige in Moskau den gesamten Zyklus gespielt hat. Teil eins liegt jetzt vor (Tacet 93), Teil zwei ist geplant.
Zum Bachjahr hat der scheue Koroliov einen Schub bekommen. In der Edition Bachakademie bei Haussier liegen die "Goldberg-Variationen"vor (Vol.112), denen er Inventionen und Sinfonien (Vol. 106), den zweiten Teil der "Clavierübung" und die "Chromatische Fantasie und Fuge" BWV 903 (Vol. 108) vorausgeschickt hat. Koroliov erscheint als die Inkarnation eines Musterschülers, der eine wenig glamouröse Kindheit in sich trägt. Er ist sparsam im Pedal, verschwenderisch allein im Vermeiden luxuriöser Zustände. Demonstriert die absolute Gleichzeitigkeit zweier voneinander unabhängiger Hände, die erste Voraussetzung, um Bach spielen zu können. Sein Bachspiel sucht sich einen eigenen Weg zwischen Swing und Romantik, zwischen Gulda und Svjatoslav Richter. Wer Bach so spielt, dient nicht der Zerstreuung, sondern der Konzentration. Das ist, jenseits technischer Fragen, wesentlich eine Sache des Denkens. Wie aber spielt er Liszt?"
Jürgen Holwein
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Evgeni Koroliov spielt Bach wie sonst keiner
Unaufwendiger sitzt kein Pianist am Klavier. Sein Oberkörper, seine Arme, die Art, wie er den Kopf hält (man sieht sie vor sich, die Klaviergenies, wie sie den Kopf in den Nacken legen und im Unendlichen des Konzertsaals das Göttliche erschauen), seine Mimik - nichts verrät, was in ihm vorgeht, und sollte er leiden, lässt er uns nicht daran teilhaben. Auf den Klavierpodien der Welt setzt man sich allenthalben in Szene. Doch auch Bescheidenheit kann inszeniert sein. Bei Evgeni Koroliov, 50, ist sie das nicht. Sein Haarschnitt stammt aus den siebziger Jahren. 1976 war er von Moskau nach Jugoslawien übergesiedelt. 1978 nahm er, 29-jährig, das Angebot einer Klavierprofessur an der Hamburger Musikhochschule an. Schon das Staatliche Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau, wo er noch selbst vor kurzem studiert hatte, bat ihn zu unterrichten. Als er dann in Hamburg ankam, hatte er bereits bei einigen Wettbewerben Preise geholt. Er trägt eine große Brille, die Brille eines belesenen Mannes. Er könnte Bibliothekar sein im höheren Dienst oder ein Uhrmacher, der es gewohnt ist, ein Stück in seine Einzelheiten zu zerlegen und wieder in ein großes Ganzes zusammen zu fügen. Koroliov ist ein Meister in seiner Werkstatt, nicht der Künstler im Salon. Am allerwenigsten entspricht er dem Mythos vom Pianisten, obwohl ihn, wenn es denn sein muss, der Geist eines Klaviertitanen überkommt, der aus Pianistenhänden Pranken macht. Heute ein nicht mehr junger, noch nicht alter Klavierprofessor, der Konzerte im ln- und Ausland gibt, und vor allem bei Bach, doch nicht nur bei Bach, viel zu sagen hat - ein Pianist, dem nicht der Ruf des Spektakulären vorauseilt und somit nicht der Vorstellung von Marketingleuten entspricht, wie Schallplattenkünstler zu sein hätten. Koroliovs erste CD erscheint denn auch erst 1990, bezeichnender Weise mit einer der rätseihaftesten Erfindungen, Bachs "Kunst der Fuge" - bei Koroliov eine Einübung in die Isolation. Natürlich nicht bei einem internationalen Label, sondern als 13. Veröffentlichung von Tacet (der kleinen, damals kaum bekannten Firma in Stuttgart). Der Komponist Györgi Ligeti hat gesagt, auf die berühmte Insel nähme er Koroliovs Bach mit, "denn diese Platte würde ich, einsam verhungernd und verdurstend, bis zum letzten Atemzug immer wieder hören". Zwei Jahre später geht Koroliov wieder ins Studio und entdeckt Tschaikowskys "Jahreszeiten" (Tacet 25). Er spielt Prokofiews Sarkasmen, einige Visions fugitives etc. (Tacet 32) und sorgt mit perkussivem Elan für stahlhelle Momente. 1995 folgen Schuberts B-Dur-Sonate und die Moments musicaux Op. 94 (Tacet 46).
Koroliov kann warten. Selbst Koroliov-Fan und -Produzent Andreas Spreer konnte ihn jahrelang nicht dazu bewegen, mit dem "Wohltemperierten Klavier" im Studio zu verschwinden, obwohl schon der 17-Jährige in Moskau den gesamten Zyklus gespielt hat. Teil eins liegt jetzt vor (Tacet 93), Teil zwei ist geplant.
Zum Bachjahr hat der scheue Koroliov einen Schub bekommen. In der Edition Bachakademie bei Haussier liegen die "Goldberg-Variationen"vor (Vol.112), denen er Inventionen und Sinfonien (Vol. 106), den zweiten Teil der "Clavierübung" und die "Chromatische Fantasie und Fuge" BWV 903 (Vol. 108) vorausgeschickt hat. Koroliov erscheint als die Inkarnation eines Musterschülers, der eine wenig glamouröse Kindheit in sich trägt. Er ist sparsam im Pedal, verschwenderisch allein im Vermeiden luxuriöser Zustände. Demonstriert die absolute Gleichzeitigkeit zweier voneinander unabhängiger Hände, die erste Voraussetzung, um Bach spielen zu können. Sein Bachspiel sucht sich einen eigenen Weg zwischen Swing und Romantik, zwischen Gulda und Svjatoslav Richter. Wer Bach so spielt, dient nicht der Zerstreuung, sondern der Konzentration. Das ist, jenseits technischer Fragen, wesentlich eine Sache des Denkens. Wie aber spielt er Liszt?"
Jürgen Holwein
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