Wer diese im Winter 1926 auf einem Welte-
Mignon-Flügel eingespielten ersten Aufnahmen
des jungen Horowitz hört, versteht,
dass der 23-Jährige mit seinem kometengleichen
Erscheinen die Klavierwelt diesseits
und jenseits des Atlantiks in Erstaunen versetzte.
Die technische Perfektion ist stupend.
In Liszt/Busonis haarsträubend schwieriger
Fantasie über Mozarts Oper „Figaro“, aber
auch in der eigenen Fantasie über Melodien
aus Bizets „Carmen“ stellt Horowitz unter
Beweis, dass ihm nichts zu schwer war.
Glänzender noch als diese Bravourstücke ist
der sirenengleiche Zauber, den er in Liszts
erster Valse oubliée oder in Chopins mit
höchster Brillanz elegant über die schwarzen
Tasten des Klaviers dahinhuschender
Étude op. 10, Nr. 5 entfesselt. Dabei fasziniert
Horowitz nicht nur durch halsbrecherische
Tempi und eine an Hexerei grenzende
Technik, sondern mehr noch durch die farbige
Nuancierung des Tons und eine musikalische
Gestaltungskraft, wie sie wenige seinesgleichen
in diesem Alter besessen haben.
Zwei höchst kantabel gespielte Bach-Bearbeitungen
Busonis lassen mit ihren exzessiven
Rubati ahnen, dass Horowitz Jahrzehnte
später der „letzte Romantiker“ am Klavier
sein wird. Poesie des Ausdrucks und manuelle
Verzauberung verbinden sich in drei
Rachmaninow-Préludes, Naivität und Abgründigkeit
in drei agogisch ganz frei deklamierten
Mazurken Chopins – Stücke, die
Horowitz auch später gespielt hat und deren
Aufnahmen zum Vergleich herausfordern.
Zur Faszination der Anthologie trägt bei,
dass wir keine kratzigen Schellacküberspielungen
hören, sondern dank der neuen Überspielungstechnik
des Stuttgarter Labels Tacet
Aufnahmen, die unmittelbar aus dem
Tonstudio von heute zu kommen scheinen.
Uwe Schweikert
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